Gesund leben Medikamentenmissbrauch und Medikamentenabhängigkeit

Medikamente sind ein wichtiger Bestandteil der Medizin. Vor allem ältere Menschen sowie Menschen mit psychischen Erkrankungen sind jedoch anfällig dafür, Medikamente in schädlichem Maße einzunehmen und abhängig zu werden. Dabei haben bestimmte Substanzen ein besonders hohes Risiko, abhängig zu machen. 

Auf einen Blick

  • Medikamentenabhängigkeit tritt in allen Altersstufen und sozialen Schichten auf.
  • Je nach Substanz können mehr Frauen oder mehr Männer betroffen sein. Menschen mit psychischen Erkrankungen sowie anderen Suchterkrankungen sind besonders gefährdet.
  • Schnell abhängig machen können verschreibungspflichtige Schlaf- und Beruhigungsmittel sowie bestimmte Schmerzmittel.
  • Der Prozess von einem normalen über einen schädlichen Gebrauch hin zur Abhängigkeit ist schleichend.
  • Die Behandlung einer Abhängigkeit umfasst einen Entzug mit begleitender medikamentöser Behandlung und Psychotherapie.
  • Selbsthilfegruppen und Suchtberatungen können dabei helfen, einen schädlichen Konsum oder eine Abhängigkeit zu erkennen. Zudem unterstützen sie dabei, dass eine Abstinenz nach dem Entzug langfristig anhält.

Hinweis: Die Informationen dieses Artikels können und sollen einen Arztbesuch nicht ersetzen und dürfen nicht zur Selbstdiagnostik oder -behandlung verwendet werden.

Nahaufname: Eine junge Frau schüttet mehrere Tabletten aus einer größeren Medikamentendose in ihre offene Hand.

Was ist Medikamentenmissbrauch?

Ärztinnen und Ärzte verordnen Medikamente, um Erkrankungen zu behandeln oder um gezielt bestimmte Symptome zu lindern. Das heißt, das jeweils verschriebene Medikament ist nur für die Therapie der jeweiligen Erkrankung oder der entsprechenden Symptome gedacht.

Von Missbrauch spricht man, wenn man ein Medikament

  • für eine Erkrankung oder Symptome einnimmt, für die es nicht bestimmt ist
  • in einer höheren Dosis als verordnet anwendet
  • in einer anderen Anwendungsform nutzt als vorgegeben
  • über einen längeren Zeitraum einnimmt als verschrieben

Kennzeichnend für einen Missbrauch ist, dass sich die Einnahme von Medikamenten schädlich auf die Psyche oder den Körper des Konsumenten oder anderer Personen auswirken kann. Von einem schädlichen Gebrauch ist die Rede, wenn bereits körperliche oder psychische Folgeschäden aufgetreten sind. 

Hält ein Missbrauch an und führt er zur Gewöhnung, kann es zu einer Medikamentenabhängigkeit kommen.

Wie verbreitet ist Medikamentenmissbrauch?

Es wird geschätzt, dass in Deutschland 2,9 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren Medikamente in schädlichen Mengen einnehmen oder von ihnen abhängig sind.

Da das Risiko für eine Medikamentenabhängigkeit mit höherem Alter zunimmt, kann die Zahl insgesamt auch noch deutlich darüber liegen. Insgesamt werden ebenfalls mehr Medikamente eingenommen, die auch körperlich abhängig machen können. Darunter fallen beispielsweise opioidhaltige Schmerzmittel.

In Deutschland nehmen etwa 2,9 Millionen Menschen Medikamente in schädlichen Mengen ein oder sind von ihnen abhängig.

Medikamentenabhängigkeit findet sich in allen Altersstufen und sozialen Schichten. Ältere Menschen sind vor allem abhängig von Beruhigungsmitteln, Frauen häufiger als Männer. Etwa zwei Drittel aller medikamentenabhängigen Frauen sind über 65 Jahre alt. 

Zu einer Abhängigkeit von opioidhaltigen Schmerzmitteln neigen hingegen eher jüngere Männer zwischen 20 und 40 Jahren, insbesondere bei zusätzlichen anderen psychiatrischen Erkrankungen.

Psychische Störungen und die gleichzeitige Einnahme von Beruhigungsmitteln (Sedativa) und Opioiden in hoher Dosierung können die Entwicklung einer Abhängigkeit begünstigen.

Bei welchen Medikamenten kommt es häufig zu Missbrauch?

Es gibt Medikamente, die körperlich nicht abhängig machen. Doch auch bei diesen Medikamenten kann es zu schweren Nebenwirkungen kommen, wenn sie missbräuchlich eingenommen werden. Die Medikamente sind oft leichter zugänglich als Medikamente, die körperlich abhängig machen können. Daher zählen rezeptfreie Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Diclofenac zu den Medikamenten, die am häufigsten missbräuchlich eingenommen werden.

Darüber hinaus stehen auch Abführmittel, abschwellende Nasensprays, entwässernde Medikamente (Diuretika) und alkoholhaltige Arzneimittel weit oben in der Statistik.

Bei den rezeptpflichtigen Medikamenten sind vor allem körperlich und psychisch abhängig machende Medikamente problematisch. So führt insbesondere die Einnahme von Schlaf- und Beruhigungsmitteln aus der Gruppe der Benzodiazepine und die Einnahme von opioidhaltigen Schmerzmitteln wie Tramadol und Fentanyl häufig zu Missbrauch, schädlichem Konsum und Abhängigkeit. Auch die sogenannten Z-Substanzen zählen dazu: Das sind benzodiazepinähnliche Schlaf- und Beruhigungsmittel.

Darüber hinaus können viele weitere, verschreibungspflichtige Medikamente abhängig machen, zum Beispiel Pregabalin, Methylphenidat oder Cannabis.

Wichtig zu wissen: Etwa 4 bis 5 Prozent aller häufig verordneten rezeptpflichtigen Medikamente besitzen ein Abhängigkeitspotenzial. Das gilt vor allem für opioidhaltige Schmerzmittel und Benzodiazepine oder Z-Substanzen, da sie die Psyche beziehungsweise das zentrale Nervensystem beeinflussen. Rezeptfreie Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol machen körperlich nicht abhängig. Der Missbrauch dieser Medikamente kann jedoch zu erheblichen Nebenwirkungen führen und beispielsweise Magen, Nieren oder Leber schädigen.

Ausführliche Informationen zu Z-Substanzen und Benzodiazepinen finden Sie auf der Seite psychenet.de.

Wie entsteht Medikamentenmissbrauch?

Bereits die Art und Weise, wie Eltern mit Medikamenten umgehen, kann prägend sein. So neigen beispielsweise Kinder, deren Eltern bei Alltagssymptomen wie Kopfschmerzen relativ schnell zu Schmerzmitteln greifen, im Verlauf ihres Lebens eher zu Medikamentenmissbrauch. Ausschlaggebend ist bei jungen Mädchen oft die erste Menstruation. Eine Untersuchung zeigte, dass etwa 20 Prozent der 14- bis 16-jährigen Mädchen nahezu täglich Schmerzmittel einnehmen. Diese Mädchen wuchsen überwiegend in einem solchen „Schmerzmittelhaushalt“ auf.

Zudem fühlen sich viele Menschen in ihrem Privat- und Berufsleben überfordert. Sie stehen unter Leistungs- und Konkurrenzdruck, den sie durch die Einnahme von Schlaf- und Beruhigungsmitteln auszuhalten versuchen. Sie nehmen die Medikamente also als Mittel der Stressbewältigung ein, meist auch über einen längeren Zeitraum. 

Prägende Lebensereignisse wie der Eintritt in den Ruhestand, die Wechseljahre oder auch traumatische Erlebnisse wie der Tod einer geliebten Person führen statistisch dazu, dass Medikamente mit Abhängigkeitspotential häufiger und länger eingenommen werden. 

Wenn Medikamente mit einem Abhängigkeitspotential über einen längeren Zeitraum zur Behandlung von Beschwerden oder Erkrankungen eingesetzt werden, kann das ebenfalls zu Missbrauch und Abhängigkeit führen.

Wer ist besonders gefährdet, eine Medikamentenabhängigkeit zu entwickeln?

Ein hohes Risiko für Medikamentenabhängigkeit haben Menschen, die lang existierende, schwer greifbare Symptome haben, die nicht ganz klar einer bestimmten Erkrankung zuzuordnen sind.

Das können auch psychische Symptome sein wie Überforderungs- oder Überlastungsgefühle, Schlafstörungen, Ängste oder Niedergeschlagenheit. Sogenannte psychosomatische Beschwerden treten ebenfalls häufig auf. Dabei kommt es zu körperlichen Beschwerden, die durch ein Zusammenspiel aus körperlichen und psychischen Ursachen bedingt sind. Typisch dafür sind Schwindel, Herzrasen oder Magen-Darm-Probleme. Solche Beschwerden werden dann unter Umständen mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln vom Benzodiazepin-Typ über lange Zeit „behandelt“. Eine Behandlung mit diesen Medikamenten sollte in der Regel jedoch spätestens nach 2 bis 4 Wochen beendet werden.

Die regelmäßige Einnahme rezeptfreier Schmerzmittel bei chronischen Kopfschmerzen oder Migräne erhöht das Risiko für einen schädlichen Konsum oder Missbrauch.

Ein erhöhtes Risiko für einen Missbrauch oder schädlichen Konsum haben Menschen mit chronischen Kopfschmerzen oder Migräne, die regelmäßig rezeptfreie Schmerzmittel einnehmen. Bei einer regelmäßigen Einnahme opioidhaltiger Schmerzmittel kann sich auch eine Abhängigkeit entwickeln.

Wichtig zu wissen: Menschen mit langanhaltenden oder wiederkehrenden Schmerzen müssen diese nicht aushalten und benötigen eine Diagnostik und eine spezifische geeignete Therapie, zu der auch eine Therapie mit Schmerzmitteln gehören kann. Betroffene können sich von Fachärztinnen oder Fachärzten für Schmerzmedizin beraten lassen, welche Behandlung bei Ihnen am besten geeignet ist. Um einen guten Überblick über die eingenommenen Medikamente zu bekommen und einem schädlichen Gebrauch vorzubeugen, ist es sinnvoll einen Schmerzkalender oder ein Schmerztagebuch zu führen.

Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG) bietet einen Kopfschmerzkalender in verschiedenen Sprachen an. 

Woran erkennt man eine Medikamentenabhängigkeit?

Eine Abhängigkeit entsteht schleichend. Die Übergänge von einem normalen Gebrauch über einen Missbrauch bis hin zu einer Abhängigkeit sind fließend. Um die Diagnose einer Abhängigkeit zu stellen, müssen die Anzeichen ärztlich beurteilt werden. Dabei spielen ebenfalls individuelle Vor- und Nachteile eines Medikaments sowie die persönliche Krankengeschichte eine Rolle.  

Medizinerinnen und Mediziner beurteilen eine Medikamentenabhängigkeit anhand von 6 Kriterien. Diese Kriterien sind: 

  • ein starker Wunsch oder Zwang, das Medikament zu konsumieren
  • ein Kontrollverlust darüber, wann und in welcher Menge das Medikament eingenommen wird
  • körperliche Entzugssymptome bei beendetem oder verringertem Konsum beziehungsweise ein anhaltender Konsum, um die Entzugssymptome zu vermeiden
  • der Bedarf von zunehmend höheren Dosen, um die gewünschte Wirkung des Medikaments zu erzielen
  • eine verstärkte Vernachlässigung anderer Vergnügungen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums sowie ein erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen oder sich von den Folgen des Konsums zu erholen
  • ein anhaltender Substanzkonsum trotz eindeutiger körperlicher oder psychischer Schäden, die der Konsumentin oder dem Konsumenten bewusst sind

Wenn Sie bei sich selbst oder Ihnen nahestehenden Personen solche Anzeichen wahrnehmen, sollten Sie medizinischen Rat einholen.

Wie wird eine Medikamentenabhängigkeit behandelt?

Die Behandlung einer Medikamentenabhängigkeit besteht aus einer Entzugs- und einer begleitenden Psychotherapie, sowie gegebenenfalls einer unterstützenden Therapie mit geeigneten Medikamenten.

Medikamente, die auch körperlich abhängig machen, sollte man nicht schlagartig absetzen, sondern ausschleichen.

Menschen mit einer Medikamentenabhängigkeit können stationär in spezielle Entzugseinrichtungen aufgenommen werden. Dort erhalten sie begleitende Medikamente gegen Komplikationen, die eventuell beim Entzug auftreten.

Um beispielsweise eine Abhängigkeit von Benzodiazepinen oder opioidhaltigen Schmerzmitteln zu behandeln, kommen folgende Möglichkeiten infrage:

Entzug von Benzodiazepinen

Die durchschnittliche Entzugsdauer in der Klinik beträgt 3 bis 6 Wochen. Unter Umständen kann der Entzug auch länger dauern. Ein ambulanter Entzug dauert hingegen oft einige Monate bis zu einem Jahr. Ziel der Therapie ist es, die Dosis schrittweise zu reduzieren. 

Entzug von opioidhaltigen Schmerzmitteln

Je nach Schwere der Abhängigkeit erfolgt der Entzug ambulant oder in der Klinik. Voraussetzung für einen erfolgreichen Entzug ist auch eine angemessene Schmerztherapie. Falls erforderlich, kann die Behandlung durch eine medikamentöse Therapie, eine Physiotherapie oder eine Entspannungstherapie ergänzt werden.

Entwöhnungsbehandlung nach einem Entzug

Entwöhnungsbehandlungen schließen sich nach einem Entzug in der Klinik an. Dadurch soll der Übergang in den Alltag unterstützt werden. Solche Behandlungen werden ambulant, tagesklinisch oder stationär in dafür spezialisierten Einrichtungen durchgeführt, beispielsweise in Form einer medizinischen Rehabilitation. Die Reha-Maßnahmen werden vom Rentenversicherungsträger finanziert.

Nachsorge

Auch nach dem Entzug kann eine langanhaltende Abstinenz herausfordernd sein. Unterstützung bieten dafür zugelassene ambulante Beratungs- und Behandlungsstellen. Die Nachsorge besteht zum Beispiel aus wöchentlichen Gruppentherapie-Sitzungen, in denen das Gelernte aufgefrischt und die Motivation zur Abstinenz unter Alltagsbedingungen erhalten werden soll. Es hat sich zudem bewährt, Sucht-Selbsthilfegruppen einzubinden. Auch eine ambulante psychiatrische Therapie kann in dieser Phase sinnvoll sein.

Wie kann man einem Medikamentenmissbrauch oder einer Medikamentenabhängigkeit vorbeugen?

Um zu verhindern, dass es zu einem Missbrauch oder einer Abhängigkeit von Medikamenten wie Benzodiazepinen und opioidhaltigen Schmerzmitteln kommt, helfen vier wesentliche Regeln:

  • Klare Indikation: Ein Medikament sollte nur eingenommen werden, wenn es medizinisch notwendig ist.
  • Korrekte Dosierung: Das Medikament sollte wenn möglich in der kleinsten Packungsgröße verschrieben und in der für die Erkrankung angegebenen Dosis eingenommen werden. Bei länger anhaltenden Beschwerden ist es mitunter sinnvoll, auch größere Packungsgrößen zu verwenden. Der Verbrauch sollte jedoch immer eindeutig nachvollziehbar sein.
  • Kurze Anwendung: Ideal ist es, wenn die Einnahme des Medikaments so kurz wie nötig erfolgt. Eine langfristige medikamentöse Behandlung über 14 Tage hinaus sollte stets sorgfältig überlegt sein.
  • Kein schlagartiges Absetzen: An manche Medikamente gewöhnt sich der Körper. Um Entzugserscheinungen zu vermeiden, sollte die Dosis dieser Medikamente langsam reduziert werden.

Wichtig zu wissen: Vor der Einnahme von Medikamenten sollte man sich von der Ärztin oder dem Arzt oder in der Apotheke beraten lassen. Je mehr man über den richtigen Umgang sowie über Nebenwirkungen der Medikamente weiß, umso besser kann man einem Missbrauch vorbeugen.

Auch der telefonische Informationsdienst des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) unterstützt bei allen Belangen zur Suchtvorbeugung.

Wie finde ich eine passende Beratung?

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) bietet ein Online-Portal, auf dem Sie Beratungsstellen in der Nähe Ihres Wohnorts finden können.

Die Initiative stille-sucht.org des Universitätsklinikums Tübingen bietet weiterführende Informationen über Medikamentenmissbrauch und Medikamentenabhängigkeit sowie vielfältige Unterstützungsangebote.

Geprüft durch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V.

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